Diakonie Stiftung Salem · Minden · Ein Portrait von Ute Lohmeyer
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40 Jahre im Einsatz für Menschen

Ute Lohmeyer

 

„Ich habe mich auch dafür eingesetzt, dass Menschen einen Arbeitsplatz finden, der zu ihrer behinderungsbedingten Einschränkung passt – auch außerhalb einer Werkstatt für Menschen mit Behinderungen.“

Ute Lohmeyer war fast 40 Jahre lang bei der Diakonie Stiftung Salem tätig. Über 23 Jahre davon in leitender Funktion im Fachbereich Arbeits- und Berufsförderung in den Mindener Werkstätten für Menschen mit Behinderungen. Im Interview sprechen wir über einen Arbeitsbereich, der Ute Lohmeyer geprägt hat und der von ihr geprägt wurde.

 

Sie waren 40 Jahre bei der Diakonie beschäftigt. Die Arbeit mit behinderten Menschen stand dabei im Mittelpunkt. Wie kam es dazu?

Ich habe Sozialpädagogik studiert. Das Studium eröffnet einem erst einmal viele berufliche Möglichkeiten im sozialen Bereich. Schon während des Studiums wollte ich vieles ausprobieren. Ich war in einem Kindergarten und in einem Altenpflegeheim tätig und ich habe die Arbeit mit Menschen mit schweren Behinderungen in Bethel kennengelernt. Für drei Monate bin ich nach meinem Studium dann nach Amerika gegangen. Die Sommerferien verbringen amerikanische Kinder und Jugendliche oft in Camps. Auch für junge Erwachsene mit geistigen und/oder körperlichen Behinderungen wurden Camps organisiert, die staatlich gefördert und durch Spenden finanziert wurden. In einem Camp in der Nähe von York New City, circa zwei Autostunden entfernt auf einer Halbinsel im Hudson River, war ich als Betreuerin tätig. Gewohnt haben wir in Blockhäusern, ähnlich wie die ersten Siedlerinnen und Siedler. Es ging darum, der Natur nahe zu sein und positive Erfahrungen zu sammeln. Jede und jeder für sich und in der Gemeinschaft. Vieles, was ich in dieser Zeit erleben konnte, hat rückblickend Einfluss darauf genommen, wie ich meinen Beruf verstanden und ausgeübt habe. Nach diesen drei Monaten war mir zudem klar, dass ich auch in Zukunft mit behinderten Menschen arbeiten möchte.

Was war das Besondere an diesem Camp?

Allen behinderten Kindern und Jugendlichen wurde ganz selbstverständlich viel zugetraut. Es ging darum, Dinge auszuprobieren und nicht von vorneherein in Grenzen zu denken. Menschen mit Behinderungen werden oft unterschätzt. Und wenn Zutrauen von außen fehlt, dann ist es schwer, Selbstvertrauen zu entwickeln. Im Camp wurden die Teilnehmenden bestärkt, ermutigt und jeder noch so kleine Erfolg wurde zelebriert. Ich erinnere mich, dass viele Awards verteilt wurden. Die Stimmung war super, die Motivation hoch.

Wie ging es dann beruflich für Sie weiter?

Mein Anerkennungsjahr habe ich in der Werkstatt für behinderte Menschen in Minden gemacht. Nach diesem Jahr ging es für mich leider erst einmal nicht in der Werkstatt weiter. Daher habe ich den Arbeitgebergewechselt und wurde Heimleiterin eines Wohnheimes für behinderte F rauen. Nach zwei Jahren ergab sich die Möglichkeit, die stellvertretende Heimleitung des Hauses Simon bei der Diakonie Stiftung Salem zu übernehmen. Das Haus Simon war eine vollstationäre Wohneinrichtung für Menschen mit geistigen, leichten körperlichen oder mehrfachen Behinderungen. Die meisten Bewohnerinnen und Bewohner waren in den Diakonischen Werkstätten beschäftigt. Acht Jahre später bin ich dann als Sozialarbeiterin in die Werkstatt gewechselt. In der Werkstatt bin ich dann auch geblieben. Nachfolgend war ich im Bereich der beruflichen Bildung und Qualifizierung von Menschen mit Behinderungen in leitender Funktion tätig.

Was war Ihnen in Ihrer beruflichen Laufbahn besonders wichtig?

Ich habe mich immer intensiv mit dem Sozialhilferecht auseinandergesetzt. Nicht jeder Mensch mit einer Behinderung bekommt automatisch die für ihn passende Unterstützung. Im Einzelfall ist dann zu prüfen, welche Förderung greift, um den Einstieg oder Wiedereinstieg in den Beruf zu gestalten. Eine individuelle Lösung zu erarbeiten, die für den Einzelnen gut funktioniert, das war mir immer wichtig. Ich habe mich auch dafür eingesetzt, dass Menschen einen Arbeitsplatz finden, der zu ihrer behinderungsbedingten Einschränkung passt – auch außerhalb einer Werkstatt für Menschen mit Behinderungen. Mithilfe des Kurssystems, das wir 1998 eingerichtet haben, konnten wir Menschen schrittweise für eine berufliche Tätigkeit oder mehrere Aufgaben innerhalb eines Ausbildungsberufes qualifizieren. Zudem haben wir unterschiedliche Angebote entwickelt, um soziale Kompetenzen zu schulen. Die Aufnahme einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung auf dem ersten Arbeitsmarkt war das Ziel. Arbeitgebende zu finden, die sich vorstellen konnten, einen Menschen mit Behinderungen zu beschäftigen, war oft nicht einfach. Die Erfahrung mit Beschäftigten, die zum Beispiel geistig behindert sind, fehlte. Doch Vorbehalte konnten wir abbauen – durch intensive Beratung und kontinuierliche Begleitung des Beschäftigten durch uns in Form der Integrationsassistenz. Dieses Modell ist weiterhin erfolgreich. Auch das Kurssystem haben wir ausgeweitet. Wir organisieren auch Fort- und Weiterbildungen für unser Personal.

Was hat sich über die Jahre verändert?

In Zahlen lässt sich das einfach ausdrücken: 1981 gab es in Minden eine Werkstatt für Menschen mit Behinderungen. Dort gingen circa 160 Menschen mit Behinderungen einer Beschäftigung nach. Heute haben wir an fünf Standorten 1.060 Beschäftigte. Woran liegt das? Unsere Arbeitswelt ist oft hochkomplex. Die mentalen Anforderungen meist enorm. Einfache Hilfstätigkeiten fallen zunehmend weg. Soziale Kompetenzen, Selbstverantwortung und lebenslanges Lernen werden vorausgesetzt. Mit der stetigen Veränderung mitzuhalten, ist nicht einfach. Zu beobachten ist, dass die Zahl der Menschen mit einer psychischen Einschränkung steigt. Zudem erschweren die heutigen Arbeitsbedingungen die Teilhabe von Menschen mit Behinderungen am Arbeitsleben.

Kann man diese Entwicklung aufhalten?

Die moderne Arbeitswelt befindet sich in einem permanenten Wandel. Wandel habe ich persönlich immer als positiv empfunden. Dennoch deutet sich an, dass die Arbeitswelt von heute und morgen Menschen immer stärker fordern wird. Gesellschaftlich wird es also vielmehr um das Verständnis von Arbeit gehen müssen. Wie können wir Arbeit in bestimmten Bereichen so gestalten, dass sie inklusiv ist? Wie können wir Menschen mit Behinderungen einbinden? Wie verhindern wir eine zunehmende Überforderung? Denn wir dürfen nicht vergessen, dass Arbeit – wenn sie als sinnstiftend verstanden wird – die Voraussetzung für Selbstbestimmung ist. Und Menschen ein selbstbestimmtes Leben zu ermöglichen, das ist ein erstrebenswertes Ziel.

Was haben Sie jetzt vor?

In meiner beruflichen Laufbahn war mir Abwechslung und Wandel wichtig. In meinem Arbeitsbereich gab es viele Möglichkeiten der Entwicklung. Daher war die Werkstatt für Menschen mit Behinderungen für mich der richtige Arbeitsplatz. Außerhalb des Jobs habe ich unterschiedliche Sportarten ausgeübt: Reiten, Tauchen, Fahrradfahren, Wandern, Segeln. Und ich bin viel gereist. Dabei habe ich unterschiedliche Kulturen und Menschen kennengelernt. Reisen werde ich auch jetzt. Das nächste Ziel steht schon fest, denn: „The world is a book and those who do not travel read only a page.“